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Die männliche Depression

Die Vorkommen von seelischen Störungen in der Lebenszeit von Frauen und Männern ist etwa gleich hoch. Psychische Störungen im Allgemeinen und Depressionen im speziellen werden jedoch bei Männern unterdiagnostiziert. Das männliche Rollenverhalten und die unmittelbar damit zusammenhängende „Tarnung“ der depressiven Symptomatik („male depression“, Rutz et al 1995) fördern das. Mitverantwortlich dafür ist die „mangelnde Hilfesuche von Männern, eine schlechtere Stressverarbeitung sowie eine verzerrte Geschlechtsspezifisch geprägte Diagnostik. Das Bild der Depression ist weiblich geprägt, auch für Ärzte. Wir Gerichtsgutachter wissen, dass etwa 20 % der Mörder zum Zeitpunkt der Tat schwer deprimiert sind, 10 % unmittelbar nach der Tat durch Suizid versterben. In Gewalthandlungen sind unausgesprochen stets Selbsttötungsbestrebungen vorhanden.

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Im Vergleich zu Männern sind Frauen von Depressionen (mit Ausnahme der bipolaren Depression), neurotischen-, Angst- und Essstörungen sowie somatoformen Störungen doppelt so häufig betroffen, bei manchen Angststörungen beträgt der Frauenanteil etwa 80%. Auch Medikamentenabhängigkeit kommt bei Frauen dreimal so häufig vor. Der Anteil der Männer überwiegt dagegen bei Alkohol- und Drogenabhängigkeit und bei dissozialen Persönlichkeitsstörungen. Ein Genderaspekt zeigt sich auch im Suizidverhalten: Während Selbstmordversuche zu zwei Dritteln von Frauen begangen werden, sind vollendete Suizide bei Männern deutlich häufiger, trotzdem bei ihnen im Vorfeld weniger Depressionen diagnostiziert werden. Das gilt auch für die sogenannten „Mitnahmesuizide“ von Vätern: Die versuchte Tötung der Kinder und der reaktive Selbsttötungsversuch enden häufiger letal als es bei Müttern der Fall ist, die „mildere“ Methoden wählen. Die hohen Alkoholismus- und Suizidraten bei Männern werden ebenfalls als Folge eines hohen Anteils unbehandelter Depressionen erachtet.

 

Trotz effektiver Behandlungsmöglichkeiten psychischer Störungen werden diese bei Männern seltener erkannt und auch nicht behandelt, was zu einem ungünstigen Krankheitsverlauf führt, der charakterisiert ist durch ein hohes Risiko für Komorbidität, Alkoholabhängigkeit, Kriminalität, vorzeitige Mortalität und Suizidalität.

Männer haben keinen Opferstatus, seelische Störungen werden mehr als bei Frauen verdrängt; sie passen einfach nicht ins männliche Selbstbild (Roßmanith 2013).

Der Song von Herbert Grönemayer:“Männer“ bildet das Stereotyp über die stets verfügbare männliche Stärke als Idealbild ab:

Männer haben Muskeln

Männer sind furchtbar stark

Männer können alles

Männer kriegen ‘nen Herzinfarkt

Oh Männer sind einsame Streiter,

müssen durch jede Wand, müssen immer weiter

 

Die typisch depressiven Symptome wie gedrückte Stimmung, Verminderung von Antrieb und Aktivität, reduzierte Fähigkeit zu Freude, beeinträchtigte kognitive Funktionen und Vitalparameter etc. finden sich bei männlichen Patienten nicht immer in der gewohnten Art. Sie neigen weniger zum emotionalen Rückzug und zum typisch depressiven „Losigkeitssyndrom“. Wohl sind auch bei depressiven Männern Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen stark beeinträchtigt. Sogar bei der leichten Form kommen Gedanken über die eigene Wertlosigkeit und Schuldgefühle vor. Auch verwenden Männer wie Frauen Suchtmittel, vor allem Alkohol, als falsch verstandene Eigenmedikation (sogenannter sekundärer Alkoholismus) zum Lösen von Spannung, Ohnmacht, Wut, die von einer unbehandelten depressiven Störung stammen können. Wilhelm Busch beschreibt in der „Frommen Helene“ diesen Modus: „Wer Sorgen hat, hat auch Likör“. Allerdings wird dadurch das Gegenteil bewirkt: Es kommt zur Akzentuierung und Dekuvrierung vordem ausreichend kontrollierter Persönlichkeitsanteile und -impulse.

 

Die meisten Menschen- und Männer noch mehr als Frauen- fürchten sich am meisten vor dem Verlust der rationalen Kontrolle. Das ist vermutliche Ursache der tiefsitzenden Angst vor Geisteskranken. Auch bei Depressionen ist die Stimme der Vernunft leise. Sie setzt sich gegen einen erstarrten Affekt, eine agitierte Antriebssteigerung, eine mühsam gebremste oder durchbrechende Wut einfach nicht durch.

Mit dem Konzept der „männlichen Depression“ wurde -nach Erkenntnissen der Suizidforschung- Besonderheiten der depressiven Störung bei Männern Rechnung getragen (Möller- Leimkühler 2010). Männer zeigen im Gefolge depressiver Störungen häufiger als Frauen grantig mürrische Reizbarkeit, Agitation, Feindseligkeit, Wut und raptusartige Impulsdurchbrüche. In weniger drastischen Fällen fällt nur eine wütend gereizte Verstimmung auf: Der Patient eckt mit jedem an, nörgelt, kritisiert, beschwert sich endlos, gibt der „ganzen Welt“ die Schuld an seinem Elend.

Der Philosoph Karl Jaspers zeigte in seiner Dissertation, dass in der Depression die quälenden Gefühle der Einsamkeit und Verlassenheit zu impulsiven Handlungen führen können. Es kommt zu einer Lockerung des Persönlichkeitsgefüges zum Durchbrechen von bislang nicht gekannter Destruktivität. Besonders gefährlich wird es, wenn neben agitiert depressiver Symptomatik und Impulsivität auch noch eine wahnhafte Entwicklung hinzukommt. Damit einhergeht unkorrigierbare Gewissheit über eine irreale Situation, der durchaus im Kern ein „Hauch an Wahrheit“ anhaften kann.

Frauen nehmen generell häufiger professionelle Hilfe in Anspruch. Bei ihnen wird die depressive Symptomatik auch eher diagnostiziert. „Frauen suchen Hilfe- Männer sterben!“ (Hausmann et al 2008). Es gibt aber auch empirische Befunde, dass bei Männern eine geringere Bereitschaft besteht, die Gesundheitsversorgung in Anspruch zu nehmen. Männliches Rollenverhalten sowie eine damit zusammenhängende Ausgestaltung der depressiven Symptomatik sind Gründe für die Unterdiagnostizierung der depressiven Symptomatik bei Männern. Studien zeigen, dass sich die typisch depressive Symptomatik hinter Aggressivität, Irritabilität, Affektlabilität, antisozialem Verhalten, Sucht- und Risikoverhalten (Suche nach „thrill“) verbergen kann und nicht rechtzeitig erkannt und behandelt wird. Das sogenannte männliche „Geschlechterparadox“ (Möller-Leimkühler 2010) d.h. eine hohe Suizidrate bei niedriger Depressionsrate, bildet die hohe Dunkelziffer von Depressionen bei Männern ab. Es verdeutlich aber auch die Notwendigkeit rechtzeitig einsetzender ärztlicher Diagnostik und Behandlung, die damit auch Suizidprophylaxe ist.

Literatur bei der Verfasserin